Diabetes

Das eklige am Diabetes ist, dass er nicht mehr weg geht. Er ist gekommen, um zu bleiben. Chronisch krank. For ever, ever. Keine Tabletten. Keine Globuli. Dafür Katheter. Insulingeruch. Nachts um 3 Haribo essen. Krankenkasse. Kontrolle. Nierenversagen. Spätfolgen. Und ganz viel Durst.

Das klingt alles irgendwie zu düster, zu zynisch, zu sarkastisch, zu wenig nach dem bewährten "Motivations-Akzeptanz" Duktus. Dabei ist meine Einstellung zum Diabetes genau so scheiß negativ wie ich gerade. Der Diabetes ist keine Krankheit bei der man einfach auf Zucker verzichten muss damit alles gut wird. Der Diabetes ist verordneter Kontrollzwang, Tag für Tag. Messen, spritzen, den Blutzucker moderat halten. Eine Krankheit für Kontrollfreaks und Statistikfans, nicht für Langschläfer und Menschen mit Zahlen-Phobie. Diabetes zu haben, bedeutet dokumentieren zu müssen, also dokumentiere ich.

Montag: Bin hellwach. Schon vor den ersten Sonnenstrahlen. Erst ist da nur ein zartes kribbeln, dann ein ganzer Ameisenhaufen. Stehe auf, irgendwann. Keine Schlümpfe mehr da, nur noch trocken Traubenzucker. So sad.

Dienstag: Schaue "Goodbye Deutschland". Möchte in Urlaub fahren und die Pumpe daheim lassen. Den Katheter heute nicht wechseln. Dafür Eis in mich reinstopfen und nicht dafür spritzen. (Leise) Stimme der Vernunft meldet sich zusammen mit Vibration der Pumpe: "Rest-Einh. 4,3". Wechsle Katheter. Schnipse dazu kleine Luftblasen aus Reservoir weg. Fun. Hoffe, beim Setzen keinen Muskel zu treffen. Zucke zusammen für ganz kurz. Kein Schmerz. Nadel wie in Butter versenkt.

Mittwoch: 10:00. Zu neuen Qualen ruft ein neuer Tag. Heutiges Motto: "Diabetes ich wünsche mir, dass du nicht mehr da bist und ignoriere dich". Tagesbilanz: Von 400 auf 40 in etwas unter 2 Stunden. Konzentration eher mäßig.

Donnerstag: Heute Arzttermin. Will meine Ärztin beeindrucken und komme ihr mit BLZ-Statisitk. Google Bilder zu "Diabetische Füße" und bin stolz auf meinen heutigen Durschnittswert von 134. Ciao Spätfolgen.

Freitag: Schlaflos wg. Hypo. Blättere durchs Diabetes-Journal und werde aggro. Unfassbare Heuchelei. Alle sind happy und haben ihren Diabetes im Griff. Mal schauen was der BLZ macht.  Sonst so durch den Tag geeiert. Abends nichts.

Samstag: 01:00. Katheter will gewechselt werden. Pumpe läuft zurück wie gewünscht. Dann Füllen. Drucksensor schiebt sich nach vorne. Insulin spritzt mir entgegen. Noch Hoffnung, keine Panik. Nochmal mit neuem Katheter versuchen. Rücklauf Start. Dann Füllen. Insulin spritzt Insulinfontäne auf Kissen. Weniger Hoffnung, bisschen mehr Panik. Rücklauf, Füllen. Insulinfontäne aus circa 50 IE benetzt Boden. Mittlerweile Panik. 24h-Hotline anrufen. Pumpe defekt. Bin wieder nüchtern. 04:00 und es klingelt. Sitze senkrecht im Bett. Neue Pumpe ist da. Liebs in Deutschland krank zu sein.

Sonntag: Heute bin ich die Vorzeige-Kranke, koche was mit Gemüse, fahre ins Fitnesstudio und senke temp. Basalrate um 50%. Führe Gespräch mit Frau in Fitnessstudio. Der ihre Omma hat auch Diabetes. Schon lange nicht mehr BLZ kontrolliert. Auf dem Weg nach Hause ist mir nach singen: Alles wird gut - sowieso.

Vielleicht ist es ja gar nicht paradox. Vielleicht ist es ja einfach total normal, dass man keinen Bock hat sich 24/7 um seine Krankheit zu kümmern. Also hilft es, wenn man sieht, dass es anderen genauso geht oder darüber schreibt, hat bestimmt noch keine Sau gemacht.


Diabetes: Symbolbild








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